Die Abschaffung des Eigenmietwerts: Ist es bald so weit?

Das Ende des Eigenmietwerts in der Schweiz scheint nah! Die Abschaffung ist aber mehr als die Streichung einer Steuer - ein umfassender Systemwechsel wird erwartet. Was dieser konkret für (zukünftige) Wohneigentümer:in bedeuten könnte und welche Gründe für und gegen die Abschaffung sprechen, das erfährst du in unserem Expertenbeitrag mit Nationalrätin Franziska Ryser.

06.02.20236min6min

Ein Paar sitzt in Ihrem Wohnzimmer und diskutiert über die anstehende Abschaffung des Eigenmietwertes

Per Notrecht eingeführt und später immer wieder heiss diskutiert: Der Eigenmietwert ist eine Steuer, die kaum ein anderes Land ausser der Schweiz kennt. Nach jahrelangem Auf und Ab scheint sich nun eine Änderung abzuzeichnen: Im Herbst 2022 hat der Nationalrat einen erneuten Anlauf zur Abschaffung des Eigenmietwerts diskutiert. Der Weg zum definitiven Gesetz ist allerdings lang. Die erste Vorlage ist nicht mehrheitsfähig, deshalb muss die zuständige Kommission des Nationalrates erneut über die Bücher. Dabei sind noch einige Fragen offen.

«Es ist eine komplexe Geschichte», sagt Franziska Ryser. Die Nationalrätin aus St. Gallen und Vize-Präsidentin der Grünen Schweiz befindet sich als Präsidentin der Subkommission zur Abschaffung des Eigenmietwerts inmitten der Debatte. Wir haben mit ihr gesprochen und nachgefragt, was genau im Parlament diskutiert wird, welche Auswirkungen zu erwarten sind und wer von einer Abschaffung profitieren würde.

«First things first»: Was genau ist der Eigenmietwert?

Der Eigenmietwert beschreibt die Einnahmen, die Eigentümer:innen von Immobilien verdienen würden, wenn sie ihre Liegenschaft vermieten oder verpachten würden. Das Wort «würde» ist hier entscheidend – bei dem Begriff aus dem Schweizer Steuerrecht handelt es sich nämlich lediglich um ein fiktives Einkommen. Obwohl die Eigentümer:innen in der Realität also keinen Rappen der angenommenen Einnahme sehen, muss sie dennoch versteuert werden – das macht den Eigenmietwert zu einer umstrittenen Steuer. Franziska Ryser erklärt: «Der Eigenmietwert ist rein technisch nachvollziehbar, wird aber von vielen Hauseigentümer:innen als ungerechte Steuer empfunden. Deswegen ist es gerechtfertigt, sich das aktuelle System der Wohnungsbesteuerung erneut anzuschauen und zu beurteilen, ob es nicht eine bessere Lösung gibt.»

Wie hoch ist der Eigenmietwert?

Wie hoch der genaue Eigenmietwert ist, wird von den jeweiligen Kantonen bestimmt. Klingt kompliziert? Ist es auch! Dahinter steckt eine komplexe Berechnung, welche aber glücklicherweise die Behörden übernehmen. «Handgelenk mal Pi» können Eigentümer:innen davon ausgehen, dass der Eigenmietwert bei mindestens 60 Prozent der angenommenen Jahresmiete liegt. Im Gegenzug können bei der Versteuerung des Eigenmietwerts die Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten von den Steuern abgezogen werden.

Abschaffung des Eigenmietwerts: Ein viel diskutiertes Thema

Die Ausgangslage

Seit fast 90 Jahren bezahlen Eigentümer:innen schon den Eigenmietwert. Seit Jahrzehnten steht er auf wackeligen Füssen, dennoch ist die Abschaffung bisher mehrfach im Parlament und zweimal vor dem Volk gescheitert. Jetzt scheint das Ende des Eigenmietwerts so nah wie nie zuvor. Erst sagte der Ständerat im September 2021 «Ja» zur Abschaffung, ein Jahr später zog der Nationalrat nach.

Die erste präsentierte Vorlage scheiterte jedoch vor dem Nationalrat: Diese schlug vor, den Eigenmietwert auf alle Eigentumswohnungen abzuschaffen, Eigentümer:innen aber weiterhin zu gewähren, Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten steuerlich abzuziehen. Das Problem: Diese Variante würde ein riesiges Loch in die Steuerkasse reissen. Bei einem Hypothekarzins von 1,5 Prozent würde das bundesweit einen Steuerausfall von schätzungsweise 3,8 Milliarden bedeuten. Mit diesem Betrag könnte der Schweizer Staat 7’600 Polizisten einen Ferrari als Dienstauto zur Verfügung stellen.

Wie es weitergehen könnte

Nun liegt der Ball bei der zuständigen Wirtschaftskommission des Nationalrates (WAK-N), welche die missglückte Vorlage überarbeitet. Eine Variante, die derzeit möglich erscheint: Der Eigenmietwert wird abgeschafft, Abzüge für Hypothekenzinsen und Unterhaltskosten können steuerlich aber nicht mehr geltend gemacht werden. Eigenheimbesitzer:innen können also nicht auf «den 5er und s’Weggli» hoffen.

Die Abschaffung ist folglich nicht der einzige Diskussionspunkt, es geht auch um allgemeine steuerliche Rahmenbedingungen - ein Systemwechsel steht an. Nationalrätin Franziska Ryser erklärt: «Wenn man nur an einem kleinen Zahnrädchen im Gesamtgefüge dreht, so hat das Auswirkungen an einem ganz anderen Ort». Und genau das mache die Thematik so komplex.

Gründe für die Abschaffung

Der ehemalige deutsche Politiker Hans Eichel sagte einst: «Es macht die Bürger fröhlich, wenn sie weniger Steuern zahlen müssen.» Das gilt ganz besonders für den Eigenmietwert. Viele Schweizer:innen sehen den Sinn hinter der Steuer nicht, da das Einkommen rein hypothetisch ist. Ausserdem kann der Eigenmietwert für Eigentümer:innen mit tiefem Einkommen zum Problem werden. «Gerade dann, wenn man ins Rentenalter kommt und das effektive Einkommen kleiner wird, kann die Steuer zur finanziellen Belastung werden», erklärt Franziska Ryser.

Das aktuelle System belohnt zudem jene, die sich verschulden: Wer hohe Hypothekarzinsen bezahlt, kann mehr von der Steuer abziehen - folglich hat man in gewissen Situation keinen grossen Anreiz die Hypotheken zurückzubezahlen. Ryser bekräftigt: «Dadurch haben wir in der Schweiz eine relativ hohe Schuldenquote. Die Abschaffung des Eigenmietwerts würde einen Anreiz schaffen, diese Verschuldung zu reduzieren. Dadurch wären Familien weniger stark abhängig von steigenden Hypothekarzinsen, was ihnen wiederum helfen würde, finanziell unabhängig zu bleiben. Ausserdem würde eine tiefere Verschuldung auch unser Schweizer Finanzsystem als Ganzes stabilisieren.»

Gründe gegen die Abschaffung

Wenn unser Arbeitgeber den Lohn von einem auf den anderen Tag halbiert, stehen wir vor einem Problem. Ähnlich geht es unserem Staat - die Steuer des Eigenmietwerts macht einen wesentlichen Teil der kantonalen Finanzen aus. Wie das gelöst werden kann, ist eine der zentralen Fragen, die die Kommission WAK-N beschäftigt. Franziska Ryser erklärt: «Es braucht hier ein gutes System, das diesen Verlust einigermassen ausgleichen kann. Daran arbeiten wir momentan.»

Ausserdem ist das aktuelle Zinsniveau ein massgebender Faktor dafür, ob die Abschaffung Wohneigentümer:innen begünstigt oder nicht: Steigen beispielsweise die Hypothekarzinsen stark an, würde die Steuerschuld im neuen System höher ausfallen als der Eigenmietwert. Es würden also nicht alle gleichermassen vom neuen System profitieren, stattdessen gäbe es je nach individueller Situation Begünstige und Verlierer:innen.

Die Begünstigten des Systemwechsels

Wird der Eigenmietwert abgeschafft, jubelt besonders ein Teil der Wohneigentümer:innen: Wer die Hypothek fast vollständig amortisiert hat und wenig in den Unterhalt des Eigenheims investieren muss, bezahlt momentan noch hohe Steuern, da kaum etwas vom Eigenmietwert abgezogen werden kann. Laut Franziska Ryser gilt dies besonders dann, wenn neulich eine Neueinschätzung des Hauses stattgefunden hat. «Mit steigenden Immobilienwert wird auch der Eigenmietwert einer Liegenschaft tendenziell immer höher. Ergo: Man zahlt momentan immer mehr Steuern», sagt Franziska Ryser.

Auch für viele Rentner:innen wird das Eigenheim durch den Eigenmietwert zur Belastung. Das Einkommen sinkt mit der Pension und häufig ist die Hypothek bereits abbezahlt, es kann also nicht mehr viel abgezogen werden. Deshalb würden speziell diese Gruppen von einer Abschaffung profitieren. 

Die Verlierer:innen des Systemwechsels

Bei der Abschaffung des Eigenmietwerts gewinnen allerdings nicht alle: Eigentümer:innen, die aktuell hohe Hypothekarzinsen zahlen und in Sanierungen und Unterhalt des Hauses investieren, würden in Zukunft mehr Steuern bezahlen. Bisher konnten diese Kosten abgezogen werden, was nach der Abschaffung nicht mehr möglich wäre.

Was aber bedeutet das für Unterhaltsarbeiten? Dank der steuerlichen Abzüge wurden Eigentümer:innen bisher motiviert, in energetische Sanierungen und andere werterhaltende und wertsteigernde Arbeiten zu investieren. Mit dem Wegfall des steuerlichen Abzuges, würde dieser Anreiz wegfallen - und das ist wiederum schlecht für die Umwelt. Diese Frage zeigt, wie verwoben das Thema ist und welche weitreichenden Konsequenzen zu erwarten sind.

Fazit: Es gilt abzuwarten

Noch kann kein abschliessendes Urteil gefällt werden, da - wie so oft - der Teufel im Detail liegt. Der exakte Gesetzesentwurf muss erst definitiv ausgearbeitet werden. Was klar ist: Eine Lösung, mit der alle zufrieden sein werden, ist unwahrscheinlich. Ryser bekräftigt: «Es gibt hier leider keine eierlegende Wollmilchsau. Bald werden mehr Details bekannt und dann kann man beginnen, die eigene Situation einzuschätzen».

Wie es mit der Abschaffung des Eigenmietwerts weitergeht, das ergibt sich im Frühling und Sommer 2023. Noch ist es unklar, ob es wieder zur Volksabstimmung kommen wird. Wer auf dem Laufenden bleiben möchte, kann die Medienmitteilungen des Bundesrats verfolgen.

Wir sind Liiva. Mit oder ohne Eigenmietwert an deiner Seite.